Gedenken an Willy Brandt zum 20ten Todestag
Oktober ist politische Erinnerungszeit
Oktober-Zeit ist Erinnerungszeit. Es wird zurück geblickt – auf den Beginn der Kanzlerschaft von Helmut Kohl vor 30 Jahren, auf den Jahrestag der deutschen Einheit am 3. Oktober, der sich 2012 zum 22. Mal jährte oder auf den Jahrestag der Gründung der untergegangenen DDR am 7. Oktober, die sich vor 63 Jahren konstituierte bzw. konstituiert wurde.
Die deutsche Einheit … . Wer hat den größeren Anteil daran? Die CDU mit dem „Kanzler der Einheit“ Helmut Kohl, die SPD mit Willy Brandt, mit dem Architekten der Ostpolitik, die auf das friedliche Überwinden von Mauer und Stacheldraht zielte, oder die F.D.P. mit den damaligen Außenministern sowie Vize-Kanzlern Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher, die die genannte Ostpolitik unter den Kanzlern Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl mit trugen bzw. engagiert fortführten und zu einem erfolgreichen Ergebnis brachten?
Wende-Zeit – Wessen Verdienst?
Die Akteure der Bundesrepublik in der Wende-Zeit wurden und werden in den Mittelpunkt gestellt, dazu noch Georg Bush, als damaliger US-Präsident und natürlich Michail Gorbatschow, der mit seiner Politik von „Glasnost und Perestroika“ die friedlichen Revolutionen gegen die stalinistischen bzw. pro-stalinistischen Regime in aller Welt, insbesondere im Mittel- und Osteuropa, erst ermöglichte.
Vergessen werden sollten dabei nicht die Menschen zwischen Ostseeküste und Sächsischer Schweiz, die mehrheitlich das DDR-Regime ablehnten, die zu den Ersten gehörten, die sich gegen die stalinistischen Machthaber erhoben.
Erinnert wird zu Recht an die Tausenden sozialen, konservativen und liberalen Demokraten, die – weil sie sich für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzten – von den neuen kommunistischen Machthabern und den Vertretern der russischen Militäradministration bereits 1945 wieder in die Gefängnisse gesperrt wurden, in denen sie schon während der nationalsozialistischen Diktatur waren.
Erinnert wird ebenfalls an jene Kommunisten und Sozialisten, die einen diktatorischen Sozialismus verneinten und auch inhaftiert oder sogar ermordet wurden.
Viele Sozialdemokraten wurden verfolgt und sogar ermordet, weil sie sich einer Vereinigung mit der KPD widersetzten. … Die jedoch den Kampf gegen die „Diktatur des Proletariates“ mit Hilfe des SPD-Ostbüros, der gesamtdeutschen sozialdemokratischen Widerstandsbewegung gegen das DDR-Regime, fortsetzten. Der „Sozialdemokratismus“ war in den Augen führender SED-Vertreter der Hauptfeind, die „soziale Speerspitze des Imperialismus“.
Gegenwärtig werden Solidarnosc in Polen, Charta 77 in der CSSR, die Gulasch-Kommunisten in Ungarn als Wegbereiter der deutschen Einheit dargestellt. Die Vertreter der Bürgerbewegungen NEUES FORUM, Demokratie Jetzt und der Initiative für Frieden und Menschenrechte geraten so medial und historisch ins „Abseits“, obwohl sie die Hauptrolle bei der Beseitigung des SED-Regimes 1989/90 spielten.
Willy Brandt und die Frage der deutschen Einheit
„Die Mauer steht gegen den Strom der Geschichte!“ und „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört !“ – treffende Zitate Willy Brandts von 1961 bzw. 1989 fanden ihre eindrucksvolle Bestätigung 1990, mit der deutschen Vereinigung. Der vierte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und Friedensnobelpreisträger 1971 setzte ab 1966, verstärkt ab 1969 auf einen friedlichen Ausgleich zwischen Deutschen und Polen, Deutschen und Tschechen, Deutschen und Slowaken, Deutschen und Russen, Deutschen und Ungarn oder Deutschen und Deutschen.
Er musste mit den stalinistischen Machthabern in Ostberlin, Moskau, Warschau oder Prag verhandeln, nicht um die (bundes-)deutsche Regierung mit den stalinistischen Regierungen der jeweiligen Ostblock-Länder zu versöhnen, sondern um Freundschaften zwischen dem deutschen Volk mit den polnischen, russischen oder tschechischen Völkern zu befördern.
Willy Brandt war sowohl Antifaschist als auch Antikommunist, der bewusst anmahnte: „Man kann nicht Antifaschist sein, ohne gleichzeitig Antikommunist zu sein. Antifaschismus und Antikommunismus schlißen einander ein, nicht aus …“
Er setzte auf das friedliche Überwinden des „eisernen Vorhangs“ in Europa, auf das friedliche Überwinden von Mauer und Stacheldraht innerhalb Deutschlands. Durch seine „neue Ostpolitik“ machte Brandt Mauer und Stacheldraht innerhalb Deutschlands kontinuierlich durchlässiger, sorgte für eine zunehmende Reisefreiheit auch der Ostdeutschen, mahnte die Freilassung politischer Häftlinge in der DDR erfolgreich an und versuchte über Vertragspolitik die Machtverhältnisse in Ostberlin und in Moskau zu ändern.
Brandt glaubte an die deutsche Einheit
Willy Brandt glaubte stets an die deutsche Vereinigung, allerdings nicht an eine „Wiedervereinigung“ mit den deutschen Ostgebieten, die nach 1945 unter polnischer und tschechischer Verwaltung standen. Er erkannte den Nachkriegs-Zustand nicht an, was weder eine west- noch ostdeutsche Regierung konnte, er respektierte die Grenzen jedoch und deren Unverletzlichkeit. Für ihn blieb die deutsche Einheit, das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten unter demokratischen Vorzeichen jedoch immer das politische Ziel.
So dokumentiert „der Brief zur deutschen Einheit“ – zum Moskauer Vertrag 1970 – diese Zielsetzung: „Im Zusammenhang mit der heutigen Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken beehrt sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.“ (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 12. August 1970, Nr. 107, S. 1057-1058 Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Vertragsarchiv)
Der DDR-Außenminister Otto Winzer (SED) meinte daher zur Ostpolitik Willy Brandts in den 1970er Jahren, dass diese „eine Aggression auf Filzpantoffeln sei“. „Weder Brandt noch Strauß (bayrischer Ministerpräsident- red. Anm.) seien für die DDR, beide wollen die Abschaffung des DDR-Sozialismus.“
Leider stand Willy Brandt mit beiden Positionen – gerade in den 1980er Jahren – in seiner Partei zunehmend allein. Die christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl/Hans-Dietrich Genscher war es letztendlich vorbehalten, die deutsche Einheit politisch zu vollenden – dank großen diplomatischen Geschicks und tatkäftigen außenpolitischen Engagements. Willy Brandt bleibt jedoch der Verdienst, wie seinem Nachfolger Helmut Schmidt, diesen Einigungsprozess, auch auf europäischer Ebene, maßgeblich eingeleitet zu haben.
Unvergessen bleibt auch die Mahnung von Willy Brandt vor dem Hintergrund des untergegangenen Sowjet-Imperiums: „Wo immer schweres Leid über die Menschen gebracht wird, geht es uns alle an. Vergessen wir nie: Wer Unrecht lange gewähren läßt, bahnt dem nächsten den Weg!“
Das gilt für die „kleine“, wie für die „große Politik“ …
Marko Michels