Skip to main content

Deutschland in Feierlaune

20 Jahre deutsch-deutsches Miteinander – sogar die DDR erscheint wieder angenehm … Ein verbaler Einwurf

Das vereinte Deutschland wird 20 – und man traut seinen Ohren kaum. Die DDR wurde 1989/90 mittels friedlicher Demonstrationen zu Grabe getragen. Nie wieder Stasi! Nie wieder Unrecht! Nie wieder Unfreiheit! – waren damals, im Herbst 1989, unter anderem die Rufe von Rügen bis Dresden.

Doch um so länger die friedliche Revolution in der damaligen DDR zurückliegt, um so sympathischer und angenehmer erscheint der „erste Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden“ manchen führenden Politikern im Lande.

Den Anfang machte vor zwölf Monaten MV-Ministerpräsident Erwin Sellering, als er meinte: „Ich verwahre mich dagegen, die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab …“ – Zwar merkte der SPD-Politiker an, dass es keine Kontrolle durch unabhängige Gerichte gegeben habe, weshalb „zur DDR auch immer ein Schuss Willk�r und Abhängigkeit gehörten“.

Nun pflichtete Sellering ein anderer Spitzenpolitiker bei, der erste und letzte demokratisch frei gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maiziere von der CDU. Er stellte zur Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat fest: „Ich halte diese Vokabel für unglücklich … Die DDR war kein vollkommener Rechtsstaat. Aber sie war auch kein Unrechtsstaat. Der Begriff unterstellt, dass alles, was dort im Namen des Rechts geschehen ist, Unrecht war.“

Vergessen sind anscheinend jene soziale und christliche Demokraten, die vor 45 Jahren ff. im Kampf gegen die Stalinisierung der Gesellschaft in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, ab 1949 DDR, ihr Leben ließen, inhaftiert, bespitzelt oder drangsaliert sowie aus Ämtern und Arbeitsstellen gedrängt wurden.

Werner Jöhren, Hans Krukenmeyer, Siegfried Witte oder Annemarie von Harlem stehen für das demokratische Aufbegehren der CDU nach 1945 gegen die gewaltsame Gleichschaltung der Christlich-Demokratischen Union hierzulande. Hermann Lüdemann, Bernhard Pfaffenzeller, Albert Schulz oder Albert Kruse sind Sozialdemokraten, die sich zunächst gegen die diktatorische Vereinigung mit der KPD 1946 aussprachen und nach vollzogener erzwungener „Parteien-Verschmelzung“ für Freiheit und Selbstbestimmung in der SBZ eintraten.

Während bis Ende der 1950er Jahre rund 3000 Christdemokraten in Mecklenburg und Vorpommern überwacht, inhaftiert oder sogar getötet wurden, berichtete Helmut Bärwald, der letzte Leiter des SPD-Ostbüros, ab 1966 des „Referates für gesamtdeutsche Fragen, zur Verfolgung der Sozialdemokraten in der SBZ/DDR:

“ … Die von den Kommunisten propagierte und durchgesetzte ‚Einheit der Arbeiterklasse‘ wurde, vielfach bereits vor der SED-Gründung, auf makabere Weise hergestellt: In den Zuchthäusern und Konzentrationslagern in der SBZ und in der Sowjetunion, in denen sich Sozialdemokraten und Kommunisten tatsächlich ‚zusammenfanden‘.

Die einen als gequälte Häftlinge. Die anderen als Bewacher und Peiniger. Namen wie Buchenwald, Bautzen, Brandenburg, Torgau, Workuta, sind eng mit der Zwangs-„Einheit“ und dem Widerstandskampf Tausender dagegen verbunden. Mindestens 5.000 Sozialdemokraten wurden vor allem Ende der vierziger Jahre von Sowjetischen Militärtribunalen zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. 400 von ihnen kamen in der Haft ums Leben. Viele tausend wegen ihres Widerstandes gegen die Gründung der SED und gegen diese Partei und deren Politik verfolgte, von Verhaftung und Verschleppung bedrohte Sozialdemokraten mußten aus Mitteldeutschland fliehen.

… In Mecklenburg-Vorpommern wurden allein zwischen 1946 und 1951 ca. 5.000 Sozialdemokraten aus der SED ausgeschlossen, intensiv bespitzelt und inhaftiert wurden, weil sie es wagten sich zu ihrer sozialdemokratischen Gesinnung offen zu bekennen …“ („H. Bärwald „Eines Zeitzeugen Anmerkungen zu einer Doktorarbeit …“, 2000)

Die Folgejahre in der DDR, ab 1949, waren unter anderem durch die blutige Niederschlagung des demokratischen Aufbegehrens 1953, durch den Mauerbau und die „Sicherung“ der deutsch-deutschen Grenze 1961, durch intensivste Bespitzelung der Bevölkerung durch die Stasi und nicht zuletzt durch Inhaftierung und sogar Tötung von Oppositionellen geprägt.

Ja, es gab in der DDR dennoch ein Leben jenseits von Stasi, SED, Blockflöten, FDJ und Wehrkunde. Ja, es wurde gereist – zumindest von Sachsen an die Ostsee oder umgekehrt sowie nach Polen, Bulgarien oder die CSSR. Ja, es gab Pittiplatsch, Schnatterinchen, den Sandmann, Kati Witt, Zetti-Knusperflocken, das Ampelmännchen, den grünen Pfeil und „nur“ inoffizielle Arbeitslose.

Nicht zuletzt: Ja, auch in der DDR wurde geliebt – mitunter von Herzen, mitunter auch nicht … Aber all das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Deutsche Demokratische Republik an ihrer wirtschaftlichen Inkompetenz, an ihren diktatorischen Strukturen und an einer Politik von SED, Ost-CDU, LDPD, DBD und NDPD, die gegen die eigene Bevölkerung gerichtet war, gescheitert ist.

Dass in der vereinten Bundesrepublik inzwischen die Demokratie zum „Demokratismus“ mutierte, deutsch-deutsche Partei-Apparatschiki, immer noch und schon wieder, nach 1990 als „Sonnenkönige“ auftreten, angebliche DDR-Wi(e)derstandskämpfer die Deutungshoheit über die Charakterisierung der DDR übernehmen, obwohl einige von denen eher „den goldenen Wendehals“ verdient hätten, und Wirtschafts- sowie Finanzbosse erst Arroganz zeigten, dann an ihrer Überheblichkeit scheiterten und dank „Staatsstütze“, die „etwas“ höher als Hartz IV lag, erneut oben auf sind, darf den Blick auf die DDR nicht verklären.

Mit wem halten es nun die Herren Sellering und de Maiziere? Mit Leuten, wie Carl Moltmann oder Reinhold Lobedanz, die ihre Parteien SPD und CDU nach 1945 in die Arme der Stalinisten führten? Oder mit Persönlichkeiten, wie Hermann Lüdemann oder Werner Jöhren, die selbstlos bzw. engagiert gegen die stalinistische Diktatur auftraten?

Aber am Ende wird man lavieren. Die Täter, Opportunisten und „Wendehälse“ von einst sind ohnehin längst wieder in Führungspositionen, dürfen sich rehabilitiert fühlen und feiern „fröhliche Urständ“. Sie sicherten sich dank ihrer einstigen Privilegien, ihrer politisch zugeschanzten Top-Ausbildung in der DDR und ihren „marktwirtschaftlich kompatiblen Charakter“ schnell den „Platz an der kapitalistischen Sonne“.

Und so feiern DDR-Apparatschiki von früher und die wirtschaftlich-politische „Elite“ der alten Bundesrepublik im Oktober ausgelassen und sicher feucht-fröhlich den „Erfolg“ der deutsch-deutschen Vereinigung 1990 und deren 20. Geburtstag.

Aber wie meinte der König Pyrrhus von Epirus nach seinem Sieg über die Römer im Jahr 279 vor Christus: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“

Für viele wird der 3. Oktober keineswegs ein Tag zum Feiern sein – entgegen aller politischen und medialen Schönrednerei. Die hohe Kinderarmut und die extrem ungleiche Entwicklung der Gesellschaft, wenige bekommen viel Geld, das sie nie verdienten, wird allerdings die Feierlaune in Deutschland als das widerspiegeln, was sie tatsächlich ist, als „Tanz um das goldene Kalb“, als „Feier des satanischen Zynismus“.

Dr. Marko Michels


Ähnliche Beiträge