Am 3. Oktober und dann am 14. Oktober wird gefeiert. Die deutsche Einheit wird 20.
Vor 20 Jahren fanden außerdem die ersten freien, gleichen und demokratischen Landtagswahlen seit 57 Jahren, nach nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur, auf dem Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern statt.
Träume wurden erfüllt oder zerschlugen sich. Alte Probleme wurden beseitigt, neue kamen hinzu. Die Vergangenheit ist längst nicht intensiv aufgearbeitet – weder die braune noch die rote. Weder die SED und ihre Nachfolgeparteien, noch die FDP, die mit den Blockparteien LDPD und NDPD nach der Wende fusionierte, noch die CDU, die die Blockparteien Ost-CDU und Bauernpartei aufnahm , haben sich diesen Teilen ihrer Vergangenheit und der damit verbundenen Verantwortung an der zweiten Diktatur auf deutschem Boden umfassend gestellt. Und auch die Geschichte der SPD in der SBZ/DDR ist beileibe nicht nur eine Widerstands-, sondern auch eine Schuldgeschichte, wie Arndt Noack, der Mitbegründer der SDP 1989, treffend meint.
Tja, am 3. Oktober haben wieder die Schönredner Hochkonjunktur, die alles durch eine „rosarote“ oder „rosaschwarze“ Brille betrachten. Ja, die Grenzen sind offen, wer es sich leisten kann, fährt in exklusive Feriengebiete oder zu den Urlauber-Silos nach Mallorca, die Meinung ist frei, Politiker können beschimpft werden, den Chef sollte man besser nicht kritisieren, da „blaue Briefe“ oftmals die Folge sind, es gibt alles zu kaufen, von holländischen Wassertomaten, Fertiggerichten, die mehr nach PVC als nach Nahrungsmitteln schmecken, und kunterbunte Verpackungen mit eher suboptimalen Genüsslichkeiten.
Ja, die Innenstädte sind in vielen Orten herausgeputzt worden, die Kirchen ebenso. Zwar meinte Jesus von Nazareth einst „Um zu glauben, bedarf es keiner Häuser und Paläste“, aber die irdischen Kirchenvertreter waren oftmals alles andere als „Säulen-Heilige“ und auch auf viel Prestige bedacht. Wer in bestimmte Randzonen der Städte möchte, stellt erstaunt fest: Vieles ist ja noch schlimmer als in der „Zone“. Aber die „Touris“ werden ja nur über die gewienerten Marktplätze und zu den auserwählten Bauten (herum)geführt – und damit an der Nase, denn das alles hat nichts mit der Realität zu tun.
Ja, die Stasi, dieser kriminelle Krake, ist glücklicherweise verschwunden, dieser widerliche Wehrunterricht und die Fahnen-Appelle, mit den Pseudo-Bekundungen zu Friede und Sozialismus. Mit den Schüssen an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze auf Deutsche, die sich nach Freiheit sehnten, wurde der diktatorisch-kriminelle Charakter der DDR mehr als deutlich.
Ja, die Wirtschaftskraft des vereinten Deutschlands ist beeindruckend, obwohl Dumpinglöhne und „Outsourcing“ den ökonomischen Alltag bestimmen. Nicht wenige „Unternehmer“ lassen unter beschämenden Löhnen und Bedingungen ihre Produkte in der „dritten Welt“ fertigen – die doppelte Moral des real existierenden Kapitalismus.
Jubeln können die Beamten, Angestellten im öffentlichen Dienst oder bei kommunalen Unternehmen – das Einkommen stimmt oftmals. Aber „stimmig“ sind wieder nicht die Statistiken. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen fallen und fallen – herausgerechnet sind da schon „Hartz IVler“, Angestellte in prekären Arbeitsverhältnissen, Niedriglöhner, Vorruheständler, die gern arbeiten würden, Beschäftigte auf dem zweiten Arbeitsmarkt, Geparkte im Weiterbildungsmaßnahmen, usw.
Kinderarmut, Kulturabbau, Bildungsmisere, Verwahrlosung von ganzen Schichten, Finanzkrisen, exorbitante Staatsschulden, zunehmende Fremdenfeindlichkeit, der „gläserne Bürger“ – alles Schlagworte, die keineswegs in eine positive Richtung deuten.
Die Politik, das Beamtentum und die Mainstream-Presse – Gott sei Dank gibt es die „neuen Medien“ – üben sich in Realitätsverweigerung. Das Volk, keineswegs politik- oder demokratiemüde – wendet sich von den etablierten Parteien ab. Viele Bürgerinnen und Bürger engagieren sich ehrenamtlich, Heranwachsende sind bei „Dritte-Welt-Projekten“ aktiv und immer mehr Bürgerinitiativen werden gegründet.
Wenn die verkrusteten Parteiapparate keine Antwort bieten können, muß eben der tatkräftige mündige Bürger ran …
Die bundesrepublikanische Demokratie ist in den letzten 20 Jahren zunehmend zum Demokratismus verkommen, neue Antworten für eine neue Demokratie müssen her – notfalls ohne die alten Parteiapparate. Vielleicht kann dann wirklich „zusammen wachsen, was zusammen gehört“. Aber am 3. Oktober wird sich die Politik erst einmal auf die Schultern klopfen, das Volk feiert die Erfolge der letzten 20 Jahre aufrichtig unter sich.
Der schönste Erfolg der Einheit ist jedoch, dass nun sogar eine schwarze Bajuwarin einen roten Preussen ehelichen kann. Wenn das der Walter Ulbricht wüsste …
Marko Michels