Wahlbeschwerden: „Weniger als 50 % ist nicht legitim.“ – Doch ist es.
Offener Brief an die Schwerinerinnen und Schweriner
„Auf der Sondersitzung der Schweriner Stadtvertretung geht um die Beschwerden und Klagen gegen die Oberbürgermeisterwahl in Schwerin. Bevor der neue Amtsinhaber Dr. Rico Badenschier sein Amt antreten kann, müssen diese Klagen vom Tisch.
Ein rein formaler Akt hat es den Anschein. Zwei Klagen liegen vor. Zum einen fühlt sich der rechtspoulistische Möchtegern-Aktivist und Hobbyrassist Uwe Wilfert zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen. Er ist der Ansicht, dass seine Äußerungen, die ihm zugeschrieben werden, nicht ausreichend sind, um ihm Verfassungsfeindlichkeit zu belegen. Wilfert beruft sich auf die Unschuldsvermutung und fordert Beweise, dass er wirklich hinter Aussagen wie: „Deutschland den Deutschen“ und ähnliches stecke. Da die Aussagen allerding auf seiner privaten Facebook Seite auftauchten ist hier der Fall relativ klar, und die Stadtvertretung wird die Klage wohl ablehnen.
Interessanter dagegen ist die zweite Beschwerde gegen die Oberbürgermeisterwahl. Hier geht es darum, dass es in der Stichwahl eine Wahlbeteiligung von weniger als 50 %, genau 43,3 % gab. Für den Beschwerdeführer stellt sich die Frage, ob das Ergebnis dann überhaupt eine demokratische Legitimation darstellt. Hier hat das Wahlgesetzt keinerlei Quote festgelegt. Dadurch wird wohl auch diese Beschwerde abgelehnt. Interessant ist die Beschwerde dennoch. Wie niedrig müsste eine Wahlbeteiligung sein, damit die zur Wahl stehenden freiwillig sagen „Uns fehlt die demokratische“ Legitimation? Was schreckt die Wählerinnen und Wähler ab, ihr Kreuz bei einer rein kommunalen Wahl zu setzen? Denn es ging bei der Oberbürgermeisterwahl ja nicht um die große Weltpolitik, aufgrund dessen man durchaus fragend die Hände über den Kopf zusammenschlagen könnte. Die Oberbürgermeisterwahl ist eine „heimische“ Angelegenheit. Man entscheidet sich für die zukünftige Weichenstellung „vor Ort“ und kennt meist auch die Protagonisten. Das Grundgesetz stellt es jeden frei, ob und wem er wählt. Selbst 15 % wären legitim. Bei Gesetzen, Verordnungen und Beschlüssen wird dagegen immer eine Mehrheit von über 50 % verlangt. Dies soll dann meist eine „vertretende“ Mehrheit des Volkes darstellen. Doch wenn die Wahlbeteiligung schon unter 50 % liegt, entspricht jeder Beschluss einer „vertretenden“ Mehrheit von knapp 25 %.
Auch wenn der „Wahlsieg“ von Dr. Rico Badenschier bei der Schweriner OB Wahl mit über 60 % enorm wirkt, so sind dies doch deutlich weniger 30 % aller Wahlberechtigten Schwerinerinnen und Schweriner. Dies sind über 70 % die den zukünftigen Oberbürgermeister nicht gewählt haben. Eine Minderheit, die kleiner ist, als der Nichtwähleranteil, hat nun also den neuen OB gewählt. Gut dass es diese Beschwerde gab. Doch wieso nehmen wir alle solche Wahlergebnisse hin? Liegt es an einer Politikverdrossenheit? Unwissen? Oder ist es gar eine Ablehnung der Demokratie? Diese Frage zu beantworten, wäre lohnenswert. Doch es ist nicht leicht.
Auch wenn diese zweite Beschwerde am kommenden Montag abgelehnt wird – eine Auseinandersetzung mit dem Thema Wahl und Wahlbeteiligung und vor allem dessen Folgen ist auch in Schwerin längst überfällig.“
Ralph Martini – Stadtvertreter der Schweriner Stadtvertretung
für die Aktion Stadt und Kulturschutz