„Gerd lebt die Schweriner Leichtathletik…“
Das Diskus-Ass Jürgen Schult über das Hochsprung-Ass Gerd Wessig
Beide schrieben goldene Olympia-Geschichte und beide als Athleten des SC Traktor Schwerin: Hochspringer Gerd Wessig 1980 in Moskau und Diskuswerfer Jürgen Schult 1988 in Seoul.
Gerd Wessig feiert demnächst, Mitte Juli, sein 60.Jubiläum. Jürgen Schult hat seinen „60.“ dann Mitte Mai 2020.
Welche Bedeutung und welchen Stellenwert hat der Erfolg des baldigen Jubilars, von Gerd Wessig, aber noch heute?!
Nachgefragt bei Jürgen Schult, ehemaliger Team-Kollege von Gerd Wessig, Diskuswurf-Olympiasieger 1988 und 2020 dann selbst bei den „60er Kanten“
Diskus-Legende Jürgen Schult über seine sportliche Zeit mit dem Schweriner Hochsprung-Ass Gerd Wessig, über ein fast entgangenes Rendezvous wegen des olympischen Hochsprung-Finales 1980, das Engagement von Gerd Wessig für die Schweriner Leichtathletik und über seine derzeitige berufliche Tätigkeit
„Gerd lebt die Schweriner Leichtathletik…“
Frage: Herr Schult Sie sind gerade einmal zehn Monate jünger wie Gerd Wessig, waren wie er Athlet des SC Traktor Schwerin. Was verbinden Sie mit dem Namen, dem Sportler und dem Menschen Gerd Wessig persönlich?
Jürgen Schult: Gerd und ich waren von 1974 bis 1976 auf der Kinder- und Jugendsportschule in Schwerin in einer Klasse. Später in der Berufsausbildung – Gerd hatte seine Lehre zum Koch im Weinhaus Uhle, ich zum Maschinen- und Anlagenmonteur im PMS (Plast-Maschinenwerk Schwerin) - teilten wir für längere Zeit ein Zimmer (32!) im Club-Internat in Zippendorf. Nach der Wende waren wir dann von 1993 bis 2004 Nachbarn in Rugensee. Mit Gerd verbindet mich eine lockere Freundschaft, die jetzt fast 45 Jahre Bestand hat – seit dem 1.September 1974, dem ersten Schultag für mich an der KJS. Bei so einer Zeitspanne kann man wohl schon von einer gefestigten Freundschaft sprechen.
Frage: Auch wenn Sie und Gerd Wessig zwei unterschiedliche Disziplinen betrieben. Gab es das eine oder andere gemeinsame Trainingslager? Wie war das Miteinander beim SCT mit ihm?
Jürgen Schult: Wir waren mit Sicherheit einige Male in gemeinsamen Trainingslagern. Genau kann ich mich aber nach fast 40 Jahren nicht mehr daran erinnern. … Zumal Gerd nach seinem Olympiasieg 1980 mit Verletzungen zu kämpfen hatte und zum Zehnkampf wechselte. Meine internationale Karriere startete ja erst 1983.
Frage: Haben Sie das olympische Hochsprung-Finale 1980 vor dem TV-Bildschirm verfolgt?
Jürgen Schult: Ich kann mich erinnern, dass ich mir das olympische Hochsprung-Finale 1980 im Fernsehraum des Internats in Zippendorf gemeinsam mit Speerwerfer Gerald Weiß angesehen habe. Da Gerd bis zum Weltrekord eine Höhe nach der anderen meisterte und der Wettkampf dadurch sehr lange dauerte, kam ich (deutlich) verspätet zu einem Treffen mit meiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau vor dem Schloss…
Frage: Dass es nach der Wende 1989/90 mit der Leichtathletik in Schwerin weiter ging, ist auch dem Engagement von Gerd Wessig zu verdanken, der jahrelang als Abteilungsleiter Leichtathletik des SSC fungierte. Wie bewerten Sie dessen Engagement?
Jürgen Schult: Gerd lebt die Schweriner Leichtathletik. Er war Anfang der 1990er Jahre „an Bord“, als es darum ging, die Leichtathletik in Schwerin am Leben zu erhalten. Er übernahm dann auch als Abteilungsleiter selbst Verantwortung und kümmert sich als Trainer auch noch um den Nachwuchs. Es gibt sicher nur wenige Menschen, die der Schweriner Leichtathletik – mit all ihren Höhen und Tiefen – in diesem Maße ihren Stempel aufgedrückt haben.
Letzte Frage: Wie sieht Ihr Alltag heute aus?
Jürgen Schult: Ich lebe in der Nähe von Potsdam und habe im Juni 2018 aus verschiedenen Gründen meine Position als leitender Bundestrainer Wurf  beim Deutschen Leichtathletik-Verband zur Verfügung gestellt. Seit September 2018 arbeite ich als Leichtathletik-Trainer an der Bundespolizeisportschule Kienbaum. An dieser Sportschule haben Kader-Sportler die Möglichkeit, sich zu Polizeimeisterinnen / Polizeimeistern ausbilden zu lassen und gleichzeitig ein leistungssportliches Training zu absolvieren. Ich bin für die Organisation und Durchführung des leistungssportlichen Trainings der Sportlerinnen / Sportler zuständig.
Vielen Dank und weiterhin alles erdenklich Gute!
Blick in die Hochsprung-Historie
Tja, Hochspringen der Frauen bzw. auch der Männer und Deutschland. Das hat bei Olympia eine ziemlich große Tradition. Die erste Medaille für Deutschland gewann bei den Herren 1904 in Saint Louis Paul Weinstein (Bronze) von den Sportfreunden Halle an der Saale und bei den Frauen in Berlin 1936 Elfriede Kaun (ebenfalls Bronze) vom Kieler Turn-Verein. Für das erste „hohe“ Frauen-Gold sorgte dann Ulrike Meyfarth (ASV Köln, Bayer Leverkusen) 1972 in München, einen Erfolg, den Ulrike Meyfarth 1984 in Los Angeles wiederholte. 1976 in Montreal, folgte die nächste olympische Goldene aus deutscher Sicht – für Rosemarie Ackermann vom SC Cottbus. Und Heike Henkel (Bayer Leverkusen) schaffte Olympia-Gold 1992 in Barcelona.
Gerd Wessig, der gebürtige Lübzer und Athlet des SC Traktor Schwerin, mit Olympia-Gold 1980
Aus M-V-Sicht war Heike Balck vom Schweriner SC in den 1990ern eine Hochspringerin von Weltklasse. Sie wurde Hallen-WM-Dritte 1991, EM-Fünfte 1990, EM-Sechste 1994, Weltcup-Vierte 1994 und Europacup-Erste 1997. Nicht zuletzt: Ein bereits erwähnter Schweriner Hochspringer sorgte 1980 in Moskau für Gold-Jubel: Gerd Wessig vom SC Traktor Schwerin…
Dessen Olympiasieg 1980 in Moskau, der größte Erfolg für M-V im Hochsprung überhaupt, war mit einer bis dahin einmaligen Leistung verbunden. Zum ersten Mal gelang der olympische Hochsprung-Sieg bei den Herren mit Weltrekord. Gerd Wessig schafften damals 2,36 Meter und konnten den Olympiasieger von 1976, Jacek Wszola (Polen/2,31 Meter), und Teamkollegen Jörg Freimuth vom ASK Vorwärts Potsdam (ebenfalls 2,31 Meter) deutlich auf die Plätze verweisen.
Wie verlief seinerzeit jedoch der olympische Wettkampf in Moskau 1980?! Dazu Gerd Wessig in einem Interview mit dem Autor 2009: „Tja, die ersten Gratulanten, noch im Stadion, waren die Teamkollegen Henry Lauterbach und Jörg Freimuth. Auch der Schweizer Roland Dahlhäuser beglückwünschte mich unmittelbar nach dem Erfolg. Nur Jacek Wszola (1976 Hochsprung-Olympiasieger. – Anm. M.M.) ließ sich etwas mehr Zeit: Er war der Letzte, der mir gratulierte. Aber mittlerweile sind wir gute Kumpel! Bei ihm ging es wohl schon damals um viel Geld, bei mir „nur“ um „Volk und Vaterland“. Allerdings gab es damals noch eine größere Identifikation mit dem Team, mit dem Erfolg als es heute oftmals üblich ist.
Zum olympischen Wettkampf 1980: Ich hatte mich Stück für Stück in den Wettkampf hinein getastet, wollte unter die besten Sechs. Das war auch die offizielle Zielvorgabe und diesen leistungsmäßigen Druck hatte man dann auch schon. Das Ziel stand, wer darunter blieb, hatte versagt. Irgendwelche Ausflüchte wurden nicht akzeptiert, nach der Devise in etwa, dass die Zuschauer so laut, die Stimmung nicht gut und die Bedingung nicht optimal seien, waren verpönt. Wer die Ziele nicht erreichte, musste sich auch wieder hinten anstellen. Auch große Namen galten nichts. Das mußten seinerzeit Rosemarie Ackermann (Hochsprung), Wolfgang Schmidt (Diskuswerfen) oder Udo Beyer (Kugelstoßen) erfahren.
Aber ich blieb in der Zielvorgabe. Als feststand, dass ich sicher auf Rang sechs lag, war ich erst einmal erleichtert. 2,24 Meter, die Konkurrenz war nicht weg und die Höhe war für mich nur eine Durchgangsleistung, für mich keine Hürde. Und ich merkte Höhe um Höhe, eine Medaille könnte durchaus drin sein, zumal die Mannschaftskameraden Henry Lauterbach und Jörg Freimuth noch immer dabei waren. Und ich dachte mir: Die hatten doch die ganze Saison gegen dich nichts zu bestellen gehabt und jetzt wollen sie dich schlagen ?! Das geht schon einmal gar nicht ! Dann war ich schon unter den besten Vier und auch Jörg Freimuth war auch noch dabei. Ich wusste nun, eine Medaille ist in Reichweite. Dann plötzlich, bei der Höhe von 2,33 Meter, als die anderen rissen, war ich nicht mehr Dritter, sondern Erster – und ich schaffte sogar noch die 2,36 Meter. In diesem Moment war ich wohl der glücklichste Mensch auf der Welt…“
Gerd Wessig vor Jacek Wszola
Das damalige Endergebnis lautete: 1.Gerd Wessig (DDR) – 2,36 Meter, 2. Jacek Wszola (Polen) – 2,31 Meter, 3. Jörg Freimuth (DDR) – 2,31 Meter, 4. Henry Lauterbach (DDR) – 2,29 Meter, 5. Roland Dalhäuser (Schweiz) – 2,24 Meter und 6. Vasa Komnevic (Jugoslawien) – 2.24 Meter. Zuvor, bei den DDR-Meisterschaften 1980Â in Cottbus, Â hatte Gerd Wessig Platz eins mit 2,30 Meter belegt.
Olympische Erfolge für die Leichtathletik in M-V
Neben Gerd Wessig feierten einige Leichtathletinnen und -athleten unter den fünf olympischen Ringen große Erfolge. Athletinnen und Athleten, die für Vereine in Mecklenburg-Vorpommern starteten, erreichten insbesondere zwischen 1960 und 2000 zahlreiche Medaillen-Erfolge.
Greifswalder Studenten mit fünf Olympiamedaillen…
Und an Amsterdam hat ein früherer Jura-Student in Greifswald beste Erinnerungen: Helmut Körnig, Jahrgang 1905, der für den SC Charlottenburg startete, wurde dort, 1928 bei den Olympischen Spielen Dritter über die 200 Meter, hinter Percy Williams (Kanada) bzw. Walter Rangeley (Großbritannien, und Zweiter mit der deutschen 4 x 100 Meter-Staffel hinter den USA.
Silber gab es für Helmut Körnig auch bei den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles – ebenfalls mit der deutschen Sprint-Staffel hinter den USA. Sein deutscher Rekord über 200 Meter aus dem Jahr 1928 (20,9 Sekunden) wurde erst 26 Jahre später von Heinz Fütterer unterboten. Gerhard Stöck (SC Charlottenburg), der zeitweise auch in Greifswald Philologie studierte, wurde in Berlin 1936 im Kugelstoßen Dritter und belegte im Speerwerfen sogar den ersten Platz.
Silberner Speer 1960 für Wahl-Schweriner
Walter Krüger vom SC Traktor Schwerin erkämpfte 1960 mit Silber im Sperrwerfen die erste Olympia-Medaille für die Leichtathletik in M-V überhaupt. Renate Garisch-Culmberger (SC Empor Rostock), die vom Olympia-Dritten von 1928 im Kugelstoßen, Emil Hirschfeld, betreut wurde, schaffte dann mit Silber im Kugelstoßen 1964 auch Historisches: Sie war die erste mecklenburgische Leichtathletin, welche olympisches Edelmetall erkämpfte.
Brigitte Rohde mit erstem Olympia-Gold in der Leichtathletik für M-V
Und weitere wichtige olympische Meilensteine für die Leichtathletik hierzulande folgten: Brigitte Rohde (SC Neubrandenburg) erlief 1976 mit der DDR-Staffel über die 4 x 400 Meter nicht nur die erste Goldmedaille für die Frauen-Leichtathletik „Made in M-V“, nein, es war zugleich die erste olympische Goldmedaille in der Leichtathletik für einen M-V-Verein bei Olympischen Spielen.
Gerd und Marita 1980 goldig
Nach dem Staffel-Gold von Brigitte Rohde sorgte Marita Koch (SC Empor Rostock) für das erste „Solistinnen-Olympia-Gold“ in der mecklenburgischen Frauen-Leichtathletik. Sie war 1980 in Moskau über die 400 Meter nicht zu schlagen. In Moskau wurde auch das erwähnte erste Leichtathletik-Gold für die mecklenburgischen Herren bei Olympia verbucht. Der Hochspringer Gerd Wessig war vor fast 40 Jahren der Beste mit 2,36 Meter – damals Weltrekord und heute immer noch „erste Sahne“!
Astrid Kumbernuss mit Gold und Bronze
Goldene Momente in der Leichtathletik folgten bis 1996 – dank 800 Meter-Läuferin Sigrun Wodars (SC Neubrandenburg) 1988, Zehnkämpfer Christian Schenk (SC Empor Rostock) 1988, Diskuswerfer Jürgen Schult (SC Traktor Schwerin) 1988 und Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss (SC Neubrandenburg) 1996.
Astrid gewann mit Bronze im Kugelstoßen 2000 auch das letzte olympische Edelmetall in der Leichtathletik für eine Athletin bzw. einen Athleten eines Vereines aus Mecklenburg-Vorpommern.
Weitere Erfolgsmomente
Zwar waren weitere Leichtathletinnen und Leichtathleten mit „MV-Background“ auch bei Olympia erfolgreich – erinnert sei nur an Ingrid Lotz aus Malliß mit Diskus-Silber 1964, die Schwerinerin Gabriele Hinzmann mit Diskus-Bronze 1976, die Demminerin Ilona Slupianek mit Kugelstoß-Gold 1980 oder die Rüganerin Steffi Nerius mit Silber im Speerwerfen 2004 – aber diese starteten dann für Vereine außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern.
M.Michels