17.Juni 1953 – Demokratisches Aufbegehren in der DDR
Bedeutung, Vorgeschichte und Folgen dieses Jahrestages
Am heutigen 17.Juni wird wieder an das demokratische Aufbegehren gegen die stalinistische Diktatur in der damaligen DDR gedacht. In rund 700 Orten zwischen Mecklenburg und Sachsen kam es zu Demonstrationen und Kundgebungen gegen das politische und wirtschaftliche System im so genannten „ersten deutschen Arbeiter- und Bauern-Staat“. Mit Hilfe der russischen Streitkräfte gelang es seinerzeit der DDR-Regierung aus SED, CDU, LDPD, NDPD und Bauernpartei den demokratischen Aufstand niederzuschlagen.
Tote, Verletzte und Massen-Verhaftungen von Demonstranten waren die Folge. Auch viele ehemalige Sozialdemokraten, christlich wie liberal gesinnte Demokraten und sogar Kommunisten, die für gesellschaftlich-wirtschaftliche Veränderungen eintraten, wurden in Schnellverfahren verurteilt und ebenfalls inhaftiert.
Aber der demokratische Aufstand vom 17.Juni hatte auch eine Vorgeschichte, die nicht allein auf „Norm-Erhöhungen“ oder auf der wirtschaftlichen Misere in der damaligen DDR beruhte, die wiederum nicht zuletzt eine Folge der massiven Reparationsleistungen an die UdSSR war.
Demokratisches Aufbegehren
Ein demokratisches Aufbegehren in der sowjetischen Besatzungszone/DDR war seit Herbst 1945 ff. Realität und ist vor allem durch drei Ereignisse geprägt: die diktatorische Vereinigung von KPD und SPD zur SED, die gewaltsame Gleichschaltung von CDU und LDP und die Repressalien gegen Kommunisten, die einen stalinistischen Kurs ablehnten.
Ein besonderes Ereignis war dabei die erzwungene Vereinigung von KPD und SPD zur SED im April 1946. Ein Ereignis, das tiefe Spuren – in negativer Hinsicht – hinterließ. Ein Ereignis, das auf Zwang, Druck, Täuschung, aber auch ehrlicher Hoffnung beruhte. Mit Folgen, die Leid, Enttäuschungen und am Ende einen politischen, gesellschaftlichen und moralischen Zusammenbruch mit sich brachten …
Am 7.April 1946 vereinigten sich die KPD und die SPD in M-V, im CAPITOL in Schwerin, zur SED und am 22.April 1946 folgte der Zusammenschluss auf zentraler Ebene in Berlin.
Die Vereinigung von KPD und SPD 1946 sorgte nicht nur in der sowjetischen Besatzungszone für heftige Diskussionen. Zwischen „freiwilligem Miteinander“ bis hin zur „Liquidierung der SPD“ reichen die Kampfbegriffe, die dieses Ereignis kommentier(t)en.
Sozialdemokratische Vereinigungsbefürworter und Vereinigungsgegner …
Fakt ist: Ja, es gab viele Sozialdemokraten – Kommunisten ohnehin – die eine Vereinigung mit der KPD wollten, gerade nach den schlimmen Erfahrungen der Nazi-Diktatur. Auch die offene Feindschaft zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik hatte letztendlich den Aufstieg der NSDAP begünstigt. Allerdings: Die Kommunisten hatten selbst noch nach Beginn der Nazi-Diktatur die SPD-Mitglieder stets als „Sozialfaschisten“ denunziert.
Fakt ist ebenfalls: Die Mehrheit der Sozialdemokraten wollte eine Vereinigung mit der KPD überhaupt nicht bzw. nur unter „sozialdemokratischen Vorzeichen“. Eine Mitgliederbefragung unter den Sozialdemokraten wurde seitens der russischen Besatzungsbehörden jedenfalls nicht zugelassen.
Doch, wie war das damals im März/April 1946 ?!
Über die damalige Propaganda zum Vereinigungsparteitag am 7.April 1946 äußerte sich Hermann Lüdemann, der von der sowjetischen Militäradministration im November 1945 aus seinem Amt entfernte SPD-Landesgeschäftsführer und spätere Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, in einer Niederschrift vom April 1946 wie folgt: “ … Ich bin soeben im `Capitol` gewesen und habe die Diapositivreklame (für die Einheitspartei) gesehen. Ich habe gar nicht gewusst, dass man so viel dafür sagen kann, dass man überhaupt so eine Reklame machen kann. Da müsste der tote Goebbels vor Neid erblassen, wenn er das wüsste !“ (MLHA, BPA Schwerin, II/1)
Doch nicht nur die totalitäre Propaganda zur Einheitspartei wirkte auf viele mecklenburgische Sozialdemokraten abstoßend, auch die Atmosphäre vor und während des Vereinigungsparteitages war „gespenstisch und irreal“. Dazu Peter von Jüchen, Sohn des Schweriner Pfarrers und Sozialdemokraten Aurel von Jüchen, der den Einheitsparteitag an der Seite seines Vaters beobachtete: „Die Atmosphäre vor und während des gesamten SPD-Parteitages im `Capitol` war schon irgendwie gespenstisch und irreal. Bereits Tage vorher sagte der SPD-Landesvorsitzende Carl Moltmann, dass die Sozialdemokraten jegliche Diskussion gegen die Vereinigung während des Parteitages unterlassen sollten: `Ihr wisst ja, es ist ohnehin alles gelaufen !` – Die anwesenden Vertreter der russischen Besatzungsmacht mit Uniform und Bewaffnung dienten ohnehin der zusätzlichen Einschüchterung der Sozialdemokraten.“ (Gespräch zwischen M.M. und P.v.J. am 4.August 1997 in Schwerin)
Obwohl es in den Reihen der Sozialdemokraten viele namhafte Gegner einer Vereinigung mit der KPD gab, so Wismars Landrat Robert Brinkmann, Schwerins Bürgermeister Albert Kruse, Rostocks Überbürgermeister Albert Schulz, Hans Pollok, FDGB-Vorsitzender, die Greifswalder Landräte Willy Bieg (1945) und Walter Freese (1946/48), Stralsunds Oberbürgermeister Otto Kortüm, Hagenows Landrat Bernhard Pfaffenzeller, Wilhelm Dühring, SPD-Vorsitzender in Neubrandenburg, oder Willi Jesse, der amtierende SPD-Landesgeschäftsführer, nahm das „politische Unheil“ seinen Lauf.
Vollzug der Parteienfusion von KPD und SPD zur SED Anfang April 1946
Die Einheit zwischen KPD und SPD in M-V wurde am 7.April 1946 „ohne Wenn und Aber“ in Schwerin vollzogen. Dazu Grit Stunnack in ihrer Biographie zu Willi Jesse: “ … Den Abschluss (des Vereinigungsparteitages – Anm.d.A.) bildete das Eintreffen der Kommunisten mit `Fahnen und Gesang` im Kino. Im Saal entstanden Tumulte. Einige Sozialdemokraten verließen aus Protest die Räumlichkeiten. Albert Schulz entschärfte die Situation und verhinderte die Auflösung der Versammlung. An dem einsetzenden Beifall beteiligte sich Willi Jesse nicht. Die Reaktionen auf die unmittelbare Vereinigung waren sehr unterschiedlich. Neben begeisterter Befürwortung gab es auch Tränen der hilflosen Wut. Jesse zeigte Trotz und Überlegenheit, was seinen politischen Gegenspielern wahrscheinlich missfiel …“ (Grit Stunnack „Willi Jesse – eine Biographie“, S. 65)
Zahlreiche Sozialdemokraten waren empört über die unter Zwang und Druck vollzogene Vereinigung der beiden Parteien, so auch der später aus politischen Gründen zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilte und nach Workuta deportierte Aurel von Jüchen: “ … In der sowjetischen Besatzungszone werden die Sozialdemokratische Partei und die KPD unter dem Namen Sozialistische Einheitspartei vereinigt, ohne dass der einzelne Parteigenosse, die einzelnen Orts-, Kreis- und Landesgruppe gefragt worden wäre. Für die Misstrauischen und Besorgten werden die allerberuhigendsten Versicherungen abgegeben. Der einzelne Sozialdemokrat, der vielleicht ein Leben für seine Partei gestritten hatte, wachte eines Morgens auf, um festzustellen, dass er ohne Zustimmung in eine kommunistische Partei eingegliedert wurde …“ (Aurel von Jüchen „Mit dem Kommunismus leben ?, S.21-22)
Die eigentliche symbolische Kraft am 7.April 1946, dem Tag der SED-Gründung in M-V, hatten zwei Ereignisse, welche die Vereinigung von KPD und SPD betrafen, aber zunächst außerhalb Schwerins für kontroverse Diskussionen sorgten. Bei der Vereinigung der beiden Parteien in Neubrandenburg kam es zu einem Eklat. Der dortige KPD-Vorsitzende Erich Schmidt und der regionale SPD-Vorsitzende Wilhelm Dühring waren nicht bereit, sich die Hand zu geben. In Rehna traten am Tag der Parteienfusion sofort 12 Sozialdemokraten aus der nun existierenden SED aus, darunter der gesamte Vorstand der SPD-Ortsgruppe in Rehna.
In Greifswald kritisierten die Sozialdemokraten Willy Bieg, Walter Freese, Arno Hübner und Horst Lahmann die Art und Weise der Vereinigung der Parteien heftig.
Und Peter Schulz, der Sohn des legendären Rostocker Oberbürgermeisters Albert Schulz, kommentierte die SED-Gründung folgendermaßen: “ … Alles beherrschend (nach der SED-Gründung – Anm.d.A.) war das Gefühl von Unsicherheit. Es gab `typische Bewegungen`, den so genannten `deutschen Blick`. Man sah nach links und rechts über die Schulter, um festzustellen, ob ein Dritter zuhören konnte, wenn man mit Freunden über Politik sprach. So wie die Furcht, das Kernstück des Zwangs bei der Vereinigung, bestätigt wurde, so wurde bald auch der politische Betrug offenbar, der bei einigen Sozialdemokraten zur Zustimmung zur Vereinigung führte …“ (Peter Schulz über die Vereinigung von KPD und SPD in M-V, Manuskript zum Vortrag am 22.April 1996 an der Universität Rostock, S. 12-13)
Unmittelbare Folgen der Vereinigung von KPD und SPD
Mehr als 5000 Sozialdemokraten aus Mecklenburg und Vorpommern wurden in den Folgejahren, bis 1951, bespitzelt, inhaftiert, aus öffentlichen Ämtern entfernt oder sogar ermordet. Der Kampf gegen den „Sozialdemokratismus“ blieb auf der SED-Agenda bis zum Ende der DDR.
Bereits frühzeitig, kurz nach Ende des Krieges, geriet der Greifswalder Sozialdemokrat Hans Lachmund ins Visier der sowjetischen Militäradministration und des sowjetischen Geheimdienstes. Da er das Auftreten der örtlichen KPD-Vertreter und der SMAD in Greifswald kritisierte und sich dem politischen Druck nicht beugte, wurde er von Vertretern der russischen Geheimpolizei bereits Mitte Juni 1945 verhaftet.
Damit begann ein mehrjähriger Leidensweg von Hans Lachmund. Zunächst, im Juni 1945, wurde er im Lager Alt-Strelitz inhaftiert; es folgten zwischen Ende 1945 und 1948 im GPU-KZ Fünfeichen bzw. zwischen 1948 und 1950 im GPU-KZ Buchenwald weitere Inhaftierungen. Fast fünf Jahre blieb Hans Lachmund ohne Prozess und ohne offizielle Begründung in Haft.
1950 wurde er – wegen praktizierten „Sozialdemokratismus“ und als „Gegner der Sowjetunion“ – in einem der berüchtigten Waldheim-Prozesse zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. 1954 wurde er auf dem Gnadenwege – zahlreiche westdeutsche Politiker hatten gegen die Inhaftierung Lachmunds interveniert – aus dem Zuchthaus Waldheim entlassen. Er flüchtete nach Berlin-West.
Gewaltsame Gleichschaltung von CDU und LDP / Verfolgung von aufbegehrenden Kommunisten
CDU und Liberal-Demokratische Partei wurden nach der erzwungenen Vereinigung von KPD und SPD auf Druck der Stalinisten in der SED und der sowjetischen Militäradministration gewaltsam gleich geschaltet, obschon es auch in deren Reihen herausragende Widerstandskämpfer gegen die drohende kommunistische Diktatur gab, erinnert sei nur an Werner Jöhren, den CDU-Fraktionsvorsitzenden der CDU im Landtag von Mecklenburg, an Hans Krukenmeyer, den stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden, Siegfried Witte, den Mitbegründer der Rostocker CDU, Paul Friedrich Scheffler, den Fraktionsvorsitzenden der LDP im Landtag von Mecklenburg, an Friedrich Eduard Stratmann, den stellvertretenden LDP-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Mecklenburg, oder an Arno Esch, den mutigen Rostocker Studenten und Liberaldemokraten.
Auch einige Kommunisten, wie August Gauthier oder Wolf Reichardt, die sich dem Verrat an den Sozialdemokraten widersetzten und für echte Demokratie eintraten, wurden verfolgt und inhaftiert.
Führungspositionen behielten nur diejenigen, die bereit waren, sich dem SED-Regime zu unterwerfen – von der KPD-Landesleitung Kurt Bürger und Hans Warnke, von der SPD Carl Moltmann und Friedrich Wehmer, in der CDU Reinhold Lobedanz und Hans Wittenburg sowie in der LDP Max Suhrbier und Horst Schomacker.
Ausmaß der Parteien-Vereinigung
Das Ausmaß der Vereinigung von KPD und SPD wurde erst mit dem Scheitern des „real existierenden Sozialismus“ in der DDR 1989/90 deutlich … Bereits im Ansatz . 1945/46 in der sowjetischen Besatzungszone, ab 1949 DDR – war der Versuch gescheitert, eine gerechtere sowie sozialere Gesellschaft zu schaffen – und damit ein uralter Menschheitstraum von einer besseren Welt, der von der Bergpredigt über die Iden der Französischen Revolution 1789 und der katholischen Soziallehre bis hin zum „Kommunistischen Manifest“ 1848 reicht bzw. Ausdruck findet, in der Realität zerstört.
Und es bestätigte sich Herbert Wehners weise Prognose zum SED-Experiment, die er in einem Interview mit dem Journalisten Günter Gaus am 8.Januar 1964: “ … Es wird fürchterlich enden, mit einem moralischen Katzenjammer und einer sittlichen Vernichtung derer, die einmal aus ehrlichen Absichten kommunistische oder sozialistische Vorstellungen solcher Art zu realisieren versucht haben …“ (Anmerkung: Herbert Wehner war unter anderem SPD-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag von 1969 bis 1983.
Letztendlich sollte auch der frühere evangelisch Kirchenpräsident Martin Niemöller Recht behalten, als er meinte: „Der Kommunismus wird versagen und verschwinden, denn er hat keine Antwort oder eine falsche und irreführende Antwort auf die entscheidende Frage: Wie können menschliche Wesen endlich wirkliche Menschen werden ? – Die Würde des Menschen geht (im Kommunismus) verloren und seine Freiheit wird zerstört. Am Ende bedeutet kommunistischer Idealismus nur Nihilismus und deshalb ist er kein Weg zu tatsächlicher Menschlichkeit.“ (Aurel von Jüchen „Mit dem Kommunismus leben ?“, S. 8)
Erst im Verlauf der friedlichen Revolution in der DDR im Herbst 1989 konnten auch die Sozialdemokraten in Mecklenburg und in Vorpommern wieder eine Sozialdemokratische Partei gründen und ein demokratisches Parteienspektrum auch in M-V entstehen.
Allerdings: Die Bekundung Demokrat zu sein, reicht nicht. Demokratie sollte auch gelebt und praktiziert werden… Ansonsten wird diese zur „leeren Worthülse“.
Und nicht vergessen: Aufrichtige Demokratie muß sich auch hierzulande erst noch durchsetzen – das ist das wichtigste Resümee nach fast 30 Jahren deutscher Vereinigung.
Dr. Marko Michels