Ganz „freundschaftlich“ – sogar im Sport
Vor 35 Jahren fanden die „Wettkämpfe der Freundschaft“ statt…
Blickt man auf das Jahr 1984 zurück und schaut gleichzeitig in die Gegenwart, so kann man nur resümieren: Es ist nichts besser geworden – im Gegenteil. Der Sport wird immer noch und noch viel extremer politisch missbraucht, es wird gedopt „auf Teufel komm raus“, Sponsoren beeinflussen sportliche Entwicklungen in exorbitantem Maße und viele Sportredaktionen haben nur „Fußbälle“, „Box-Handschuhe“ und noch ganz andere „Bälle“ im Kopf – oder an selbigen bekommen.
Vor 35 Jahren – ein Paradebeispiel – wurde gerade Olympia von West und Ost elementar missbraucht. Die West-Profis und „Ost-Amateure“ wetteiferten seinerzeit getrennt. Es war wieder einmal „Boykott-Zeit“, wie 1976 in Montreal („Afrika-Boykott“) oder 1980 in Moskau („Westblock-Boykott“). 1984 revanchierte sich nun ein Großteil des „Ostblocks“. Olympia in Los Angeles fand ohne Russen, Ostdeutsche, Kubaner, Vietnamesen, Nordkoreaner, Kubaner, Bulgaren, Weißrussen, Ukrainer, Balten, Polen, Ungarn, Äthiopier und und und statt…
Der „Große Bruder“ in Moskau organisierte zwischen Havanna und Ural die „Gegenspiele“, die „Druschba-Contests“, die „Wettkämpfe der Freundschaft“.
Freundschaftlich ging es in der Sportwelt allerdings schon damals nicht zu – weder zwischen Ost und West noch „Ostblock-intern“!
Selbst innerhalb des Sowjetreichen gab es ein geschärftes Konkurrenzdenken unter den 15 so genannten „Sowjetrepubliken“. Litauer, Letten und Esten fühlten sich dabei nie als „Sowjet-Bürgerinnen und -Bürger“ – ein Umstand, der von Amerikanern, Westdeutschen oder Briten fast ausnahmslos ignoriert wurde.
Die sportlichen Entscheidungen der „Freundschaftswettkämpfe“
So fanden dann zwischen 2.Juli 1984 und 16.September 1984 die „Wettkämpfe der Freundschaft“ statt – wobei die DDR Straßenradsport (Schleiz/Forst), Kanu-Rennsport (Berlin-Grünau) und Herren-Handball (Magdeburg/Rostock) austragen durfte – während vom 28.Juli bis 12.August die „richtigen“ Olympischen Spiele in Los Angeles durchgeführt wurden.
Die DDR, deren damalige Sportführung den Boykott des „Großen Bruders“ nur widerwillig unterstützt hatte, schickte dann auch zu vielen Wettkämpfen nur „Reserve-Teams“. Der Frust war zwischen Rügen und Sächsischer Schweiz ganz einfach zu groß, wollte man die UdSSR doch erstmals auch bei Sommerspielen schlagen, was bei den Winterspielen 1984 in Sarajevo zuvor  gelang.
So ist es nicht verwunderlich, dass es den erwarteten Zweikampf zwischen den fünfzehn Sowjetrepubliken und der DDR im „Druschba-Medaillenspiegel“ 1984 nicht gab. Die Sowjetunion erkämpfte 282 Medaillen, davon 126 x Gold. Die DDR mit einer „Reserve-Mannschaft“ errang 137 Medaillen, davon 49 x Gold. Weit dahinter folgten Bulgarien, Kuba, Ungarn oder Nordkorea.
Was gab es seinerzeit aber aus M-V-Sicht sportlich zu bemerken?
Bei den Leichtathletik-Wettkämpfen in Moskau (Herren) und in Prag (Frauen) waren auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Schwerin bzw. Rostock unter den Medaillen-Gewinnern. Marita Koch (SC Empor Rostock) wurde Erste über die 400 Meter. Die Rostockerin Helga Radtke belegte im Weitspringen mit 7,11 Metern Platz zwei hinter Heike Drechsler, die auf 7,15 Meter kam.
Im Diskuswerfen schaffte Jürgen Schult (SC Traktor Schwerin) 66,02 Meter, was Platz drei hinter Juri Dumtschew (UdSSR) und Juan Martinez (Kuba) bedeutete. Im Zehnkampf gab es Silber für Torsten Voss (SC Traktor Schwerin) – hinter Grigori Degtjarjew (UdSSR). In der Endsumme der Leichtathletik-Wettkämpfe in Moskau und in Prag zählte die UdSSR 24 x Gold, 20 x Silber, 19 x Bronze und die DDR 8 x Gold, 7 x Silber, 4 x Bronze.
Das Box-Turnier in Havanna war hingegen eine kubanische Meisterschaft mit internationaler Beteiligung. 11 x Gold, 1 x Silber – das war die Bilanz für Fidel Castros Box-Staffel. Torsten Schmitz (SC Traktor Schwerin) gewann als einziger Nicht-Kubaner Gold in der Gewichtsklasse bis 67 Kilogramm vor Jose Hernandez (Kuba), Luis Garcia (Venezuela) und Serik Konakbajew (UdSSR). Michael Timm (SC Traktor Schwerin) holte zudem Bronze in der Gewichtsklasse bis 71 Kilogramm – hinter Angel Espinosa (Kuba), Michail Tukow (Bulgarien) und mit Sandor Hranek (Ungarn). Die DDR-Staffel kam auf 1 x Gold, 6 x Bronze.
Zwischen Kanu und Turnen
Bei den Kanu-Rennsport-Entscheidungen in Berlin-Grünau jubelte Rüdiger Helm (SC Neubrandenburg), der dreifache Olympiasieger von 1976 und 1980, über Gold im K 1 über 1000 Meter und im K 4 über 1000 Meter. Die DDR sammelte dabei in Berlin-Grünau fleißig kanurennsportliche Medaillen: 6 x Gold, 5 x Silber, 1 x Bronze.
Im Straßen-Radsport in Schleiz/Forst war die DDR mit 3 x Gold, 3 x Silber bestens dabei und auch im Herren-Handball in Magdeburg/Rostock konnte aus ostdeutscher Sicht gejubelt werden: Die DDR-Auswahl, unter anderem mit Frank-Michael Wahl, Rüdiger Borchardt oder Wieland Schmidt, distanzierte wieder einmal die UdSSR – wie schon 1980 in Moskau. Das Frauen-Handball-Turnier in Trencin endete 1984 mit einem Erfolg der UdSSR vor der Tschechoslowakei und der DDR, unter anderem mit Katrin Krüger, Sybille Wagner, Andrea Stolletz, Evelyn Hübscher und Claudia Wunderlich.
Im Turnen in Olomouc freute sich Maxi Gnauck, die Olympiasiegerin von 1980, über zweimal Gold, wobei Olga Mostepanowa mit 5 x Gold die überragende Turnerin war. Bei den Entscheidungen in der Rhythmischen Sportgymnastik in Warna überzeugte hingegen Diliana Gueorguiewa (Bulgarien) mit 4 x Gold.
Vom Volleyball zum Segeln
In Warna wurde auch Hallen-Volleyball gespielt. Die Frauen durften hier agieren und Kuba setzte sich vor der UdSSR und der DDR mit Maike Artl, Monika Beu, Andrea Heim, Catrin Heydrich, Grit Jensen, Ramona Landgraf, Heike Lehmann, Karla Mügge, Ute Oldenburg, Ariane Radfan, Martina Schwarz und Dörte Stüdemann durch. Beim Herren-Turnier in Havanna gab es Platz eins für die UdSSR vor Kuba und Polen.
Das Judo-Turnier in Warschau stand „unter dem Sowjet-Stern“, denn mit 5 x Gold, 2 x Silber, 1 x Bronze war die SU dort am besten. Der Rostocker Andreas Paluschek schaffte Silber – in der Gewichtsklasse bis 65 Kilogramm hinter Nikolai Soloduhin (UdSSR).
Im Modernen Fünfkampf in Warschau war der Ungar Laszlo Fabian mit zweimal Gold der überragende Athlet und auf der Moskauer Ruder-Strecke holten die sowjetischen Boote 12 x Gold. Die DDR gewann zweimal Gold im Frauen-Doppelzweier (Kirsten Peters/Ramona Balthasar) und im Herren-Doppelvierer (mit Karl-Heinz Busset, Uwe Mund, Berndt Kalisch und Klaus Kröppelien, den Doppelzweier-Olympiasieger 1980 aus Rostock). Der Rostocker Hans Sennewald, heute Präsident des Ruderverbandes M-V, wurde hinter der UdSSR mit dem DDR-Achter Zweiter.
Bei den Schwimm-Contests in Moskau dominierte die DDR mit 16 x Gold, 12 x Silber, 6 x Bronze. Der spätere Arzt an der Universitätsklinik Greifswald, Sven Lodziewski, erkämpfte Gold über 200 Meter Freistil und mit der 4 x 200 Meter Freistil-Staffel der DDR.
Geschossen wurde auch sportlich – ebenfalls in Moskau. Dabei errangen der gebürtige Demminer Axel Wegner (zusammen mit Bernhard Hochwald) im Skeet und der gebürtige Wittenberger Jens Potteck mit der Luftpistole jeweils Gold.
Die „Druschba“-Segel-Wettkämpfe waren „gesplittet“ – Austragungsorte waren der Balaton und das olympische Segel-Revier von 1980 vor Tallinn. Die DDR ersegelte bei den Regatten 2 x Gold, 2 x Silber, 1 x Bronze. Unter anderem belegten Jörn Borowski/Egbert Swensson (SC Empor Rostock), die Olympia-Zweiten von 1980, auch Platz zwei bei den „Freundschaftsentscheidungen“ in der 470er Klasse 1984.
Erfolgreiche Rostocker Wasserspringer
Große Erfolge verzeichneten auch die Rostocker Wasserspringerinnen und Wasserspringer bei den „Druschba-Wettkämpfen“. Deren Austragungsort war Budapest. Im Kunstspringen belegte Dieter Waskow (SC Empor Rostock) Platz zwei hinter Alexander Portnow (UdSSR); im Turmspringen jubelte die Universitäts- und Hansestadt sogar über einen Doppel-Erfolg – durch Dieter Waskow und Thomas Knuths. Im Turmspringen bei den Damen wurde Ramona Wenzel (SC Empor Rostock) Zweite hinter Alla Lobankina (UdSSR) und im Kunstspringen war Britta Baldus, ebenfalls vom DDR-Team, die Beste.
Auch die Ringer hatten ihre Einsätze „der Freundschaft“ in Sofia und in Budapest. Die DDR holte dort dreimal Bronze von der Ringer-Matte, auch durch Roland Gehrke aus Woldegk im Freistil-Ringen.
„Druschba“ – und weiter…
Tja, diese „Wettkämpfe der Freundschaft“ sind fast vergessen… Vergessen ist aber nicht der Frevel, der an der olympischen Idee begangen wurde und der seinen Anfang nahm, als Profi- und Profit-Interessen in West und Ost vor einem aufrichtigen Sport gestellt wurden.
Der Sport, gerade der olympische, entwickelte sich insbesondere seit den 1970er Jahren zu einem „Spielball“ der Politik und Wirtschaft.
Und wo bleiben diejenigen, die daran etwas ändern könnten? Sie resignierten, passten sich an und marschieren heute sogar wieder oder erstmals „an der Spitze der sportlichen (gesellschaftlichen) Â Entwicklung“! Vorwärts immer, rückwärts nimmer … Kennen wir das nicht alles schon?
Aber vielleicht wird das „Rückwärtslaufen“ bald in das offizielle olympische Programm aufgenommen .
M.Michels