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„Handicap“?! Von wegen…

Der paralympische Sport im Fokus

Es wird zurzeit viel über Fußball, speziell über die Hintergründe des „Sommermärchens 2006“, die Turbulenzen beim FC Hansa und über die Millionengehälter der Fußball-Profis diskutiert, der aufrichtige Sport bleibt da leider außen vor. Gerade jene Sportler, die trotz Handicaps herausragende Leistungen vollbringen…

MV bzw. Schwerin und der Sport für Athleten mit Handicaps

Und da hat MV, auch Schwerin, einige sportliche Enthusiasten mit Handicaps in seinen Reihen: Insbesondere nach 1990 feierten Sportlerinnen und Sportler aus unserem Bundesland große Erfolge, so beispielsweise die Judo-Zwillingsschwestern vom PSV Schwerin Ramona Brussig, paralympische Goldmedaillengewinnerin 2004 bzw. 2012 und Silbermedaillengewinnerin 2008, Carmen Brussig, paralympische Goldmedaillengewinnerin 2012 bzw. Bronzemedaillengewinnerin 2008, die Wahl-Greifswalderin Natalie Ball, die Schwimmerin und Goalballspielerin, die als Schwimmerin in Athen 2004 vier paralympische Medaillen gewann, oder Marcus Klemp, der herausragende Ruderer vom SV Ribnitz, der unter anderem mit dem Handicap-Vierer 2007 Weltmeister wurde und ein Jahr später Paralympics-Vierter.

Der Greifswalder Karl-Christian Bahls hatte außerdem Grund zum Jubeln und wurde 1992 Goldmedaillengewinner mit dem Bogenschützen-Team bei den Paralympics.

Auch eine leidenschaftliche Leichtathletin, die aus Vorpommern stammt, Marianne Buggenhagen, war zwischen 1992 und 2012 eine fleißige paralympische Medaillen-Sammlerin, die auf 13 x Edelmetall, darunter 9 x Gold kommt.

Zu Paralympics-Silber schwamm hingegen in London 2012 der gebürtige Schweriner Torben Schmidtke. Silber sicherte sich bei den Paralympics 2012 auch die einst in M-V aktive Rollstuhl-Fechterin Simone Briese-Baetke mit dem Degen. In der britischen Hauptstadt gab es zudem Bronze im Sprint für Jana Schmidt (1.LAV Rostock) vor der gebürtigen Schwerinerin Vanessa Low.

Übrigens: In diesem Jahr, bei den IPC-Leichtathletik-WM in Doha, schaffte Marianne Buggenhagen jeweils Gold im Diskuswerfen sowie im Kugelstoßen, Vanessa Low Gold im Weitsprung bzw. Silber im Sprint und Jana Schmidt Bronze im Weitsprung und Platz vier im Sprint.

2015 und der paralympische Sport

In diesem Jahr gab es zudem viele „Events“ im paralympischen Sport… Die letzten sommerlichen Wochen 2015 beinhalteten eine ganze Reihe von Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und weiteren Veranstaltungen in den verschiedenen Sportarten für Athleten mit Handicaps.

Dabei geht der Sport für Athletinnen und Athleten mit Handicaps – medial betrachtet – oftmals etwas unter. Obwohl insbesondere diese Sportlerinnen und Sportler mehr als andere für einen aufrichtigen, fairen und hochklassige Wettstreit stehen.

Zwischen World Youth Games und weiteren WM

So fanden kürzlich auch die World Youth Games in Stadskanaal (Niederlande) statt, bei denen die Leichtathletin Lindy Ave (Greifswald) einmal Gold, dreimal Silber und der Leichtathlet Tom Schulz (Greifswald) einmal Silber erkämpfte. Des Weiteren standen die Special Olympics World Games im Fokus. Bei diesen Spielen in Los Angeles starteten 6500 Athletinnen und Athleten aus 165 Ländern.

Darüber hinaus zeigten die Schwimmerinnen und Schwimmer mit Handicaps bei den WM in Glasgow ihr großes Können. Denise Grahl (Schwerin/Rostock) und der gebürtige Schweriner Torben Schmidtke holten jeweils Bronze.

Erfolgreiche Starts im Judo

Zuvor präsentierten sich die Zwillingsschwester Ramona und Carmen Brussig (PSV Schwerin) in großartiger Form, bei den IBSA-World Games in Seoul. Carmen schaffte dort Gold, Ramona Bronze. Diesen Medaillen-Erfolg wiederholte Ramona dann bei den „Europaspielen“ in Baku.

Und über eine großartige Platzierung bei den EM in Kaunas freuten sich die Rostocker Goalballer – Platz fünf, eine tolle Leistung.

Apropos Goalball…

In diesem Jahr fanden auch die Nachwuchs-Weltmeisterschaften im Goalball in Colorado Springs statt. Dort wurde das deutsche Jugend-Team M-V-Beteiligung sogar Weltmeister.

Wie verlief nun die WM im Goalball in den USA genau?

Nachgefragt bei Christina Erpen, Landestrainerin Goalball beim Verband für Behindertensport in M-V

C.Erpen über die Goalball-Nachwuchs-WM 2015, die Faszination am Goalball-Sport, die Leistungszentren in M-V, neue Ziele und weitere Turniere zum Jahresende

„Es gibt echte Chancen-Gleichheit…“

Frage: Herzlichen Glückwunsch zum WM-Erfolg für Ihre Schützlinge! Wer gewann nun konkret das WM-Gold im Goalball?

Christina Erpen: Das Gold gewann das Jungen-Team, das aus fünf Spielern besteht. Für M-V sind das Marcel Lehmann aus Lübz bzw. Danny Maaß aus Greifswald (beide VfL Blau Weiß Neukloster) bzw. Thomas Steiger(RGC Hansa) sowie dazu Oliver Hörauf (Ascota Chemnitz) und Khristo Dimov (SSG Blista Marburg)

Frage: Wie war der Verlauf der WM für das deutsche Jugend-Team? Welche Spiele waren besonders spannend?

Christina Erpen: Wir starteten mit einem Jungen- und einem Mädchen-Team. Am Turnier selbst nahmen elf Mannschaften aus der ganzen Welt teil.

Die Jungs durften in der Vorrunde gleich das Eröffnungsspiel gegen den Gastgeber USA bestreiten, welches sie mit einem 12:2 gewannen. Dann folgten weitere Siege gegen Korea mit 13:5, gegen Ungarn mit 11:1, gegen Schweden mit 14:5 und gegen Kanada mit 12:2, so dass sie ganz souverän als Gruppensieger die Vorrunde abschlossen.

Im Halbfinale trafen sie dann nochmals auf das Team der USA und gewannen wiederum, dieses Mal mit 15:5. Die Silbermedaille hatten sie damit schon sicher in der Tasche, aber im Finale trafen sie dann auf das Team aus Schweden und beendeten das Spiel sehr überlegen bereits nach 6 Minuten mit einem 12:2. Denn: Bei einem Zehn-Tore-Unterschied wird das Spiel abgebrochen… Damit konnten die Jungs konnten die Goldmedaille nach Hause bringen.

Enger ging es hingegen bei den Mädchen zu: Sie mussten mit nur vier Spielerinnen auskommen, da Francesca Richter(VfL Blau Weiß Neukloster) verletzungsbedingt nicht antreten konnte.

Sie gewannen in der Vorrunde zunächst gegen Korea mit 6:1, spielten gegen Canada 4:4, erkämpften gegen China einen 7:2-Sieg und zeigten gegen die USA eine starke Partie. So führten sie Mädel bis 5 Minuten vor Spielende und mussten dann leider Imke Fritzsche, die stärkste Werferin, verletzungsbedingt auswechseln. Die Folge: Das Team kassierte dann noch zwei Tore, so dass sie die Vorrunde auf Platz zwei beendeten.

Im Halbfinale traf das deutsche Team dann auf die Kanadierinnen, die sich im Laufe des Turnieres deutlich steigerten und mußten eine 10:2-Niederlage hinnehmen.

Im Kampf um die Bronzemedaille trafen die Mädchen dann erneut auf China, mussten sich dort mit 6:4 geschlagen geben und verpassten knapp eine Medaille.

Frage: Was ist eigentlch das Faszinierende am Goalball? Was macht Goalball so attraktiv?

Christina Erpen: Beim Goalball tragen alle Akteure eine Dunkelbrille, so dass Chancen-Gleichheit hergestellt wird. Für Spielzüge, Würfe und Abwehr-Aktionen müssen sich die Athleten auf ihr Gehör, ihre Orientierung und ihre Intuition verlassen.

Nach dem Angriff ist vor der Abwehr: Ist der Angriff abgeschlossen, müssen die drei Akteure auf dem Feld sofort wieder in die Abwehrstellung, denn der Gegenangriff kommt innerhalb weniger Sekunden.

Um die bis zu 80 km/h schnellen Bälle verteidigen zu können, braucht es extremen Körpereinsatz. Schließlich ist das zu verteidigende Tor ganze neun Meter breit.

Die Faszination besteht darin, dass hier Teamgeist ganz wichtig ist, man muss sich sozusagen blind vertrauen. Von jedem Athleten werden voller Körpereinsatz, Kraft, Ausdauer und Konzentration gefordert. Gerade für sehbehinderte und blinde Menschen ist es oftmals schwierig, sich frei auf einem Spielfeld bewegen zu können. Daher gibt es beim Goalball entsprechende Rahmenbedingungen, zum Beispiel tastbare Linien oder Verteilung der Spieler auf drei Positionen.

Dazu kommt, dass sich viele Athleten sehr motiviert engagieren. Als Beispiel sei an dieser Stelle Reno Tiede genannt, der eng mit Hansa Rostock zusammen arbeitet und im letzten Jahr den Rostocker Goalballclub Hansa gründete.

Werbung ist für uns besonders wichtig, um diese Sportart bekannter zu machen, da wir hohe finanzielle Kosten haben. … Schon allein dadurch, dass wir durch die ganze Republik reisen müssen, um gegen eine andere Mannschaft antreten zu können und da alle von „Inklusion“ sprechen: Es ist eine Sportart, die alle gemeinsam betreiben können.

Frage: Wie viele Aktive im Goalball gibt es eigentlich in M-V? Wie ist es um den Nachwuchs bestellt?

Christina Erpen: In M-V gibt es sechs Nationalspielerinnen und Nationalspieler: unter anderem zwei Spieler im Nachwuchskader, sowie drei weitere Spieler beim RGC Hansa. Im Nachwuchsbereich – insbesondere beim VfL Blau Weiß Neukloster in Zusammenarbeit mit dem „überregionalen Förderzentrum SEHEN Neukloster“ – gibt es zwölf Spielerinnen und Spieler in der Altersklasse zwölf bis achtzehn Jahre bzw. zwölf Spielerinnen und Spieler in der Altersklasse sechs bis zwölf Jahre

Frage: Und was sind die nächsten Herausforderungen für Ihre Schützlinge?

Christina Erpen: Es steht noch ein internationales Turnier im Dezember in Rostockauf unserem diesjährigen Wettkampf-Programm.

Vielen Dank, weiterhin bestes Engagement und maximale Erfolge im Goalball-Sport!

…Und auch im Rollstuhl-Rugby gibt es einige Asse aus M-V!

Gerade, im Herbst 2015, fanden ja die achten WM der Rugby-Union in England statt und mit Neuseeland einen würdigen Titelträger. Aber nicht nur im Bereich des Sportes ohne Handicap ist Rugby sehr populär. Ähnliches gilt für den paralympischen Sport, speziell ebenfalls im Rugby.

Wie beurteilt nun Daniel Lemke, Trainer des paralympischen Rugby-Teams der Greifswalder Rollmöpse, das rugby-sportliche Geschehen regional, national und international?!

Nachgefragt

„Noch mal nach dem deutschen Meister-Titel greifen…“

Frage: Wie ist das Kräfteverhältnis eigentlich im internationalen Rugby-Sport für Athleten mit Handicaps? Wer ist da tonangebend?

Daniel Lemke: Kanada ist da zurzeit führend, gefolgt von den USA. Japan hat in den letzten Jahren stark aufgeholt. Australien hält sich konstant, dann folgen die europäischen Länder, wobei auch Frankreich in den letzten Jahren eine Menge für den Erfolg investiert hat. In vielen Ländern ist Rollstuhl-Rugby Profisport und wird daher ganz anders finanziell unterstützt als hierzulande.

Frage: Seit 15 Jahren gibt es die Greifswalder Rollmöpse. Was waren einige Highlights der bisherigen sportlichen Entwicklung?

Daniel Lemke: 2006 war das erfolgreichste Jahr. Da haben wir unter anderem beim weltgrößten Rugby-Turnier dem Bernd-Best-Turnier in Köln in zwei der vier Leistungsklassen den Titel geholt und in der Champions League war ebenfalls „ein Rollmops“ aktiv, welcher dort für die „The Rebels“ aus Karlsruhe spielte und mit diesen Platz eins belegte. Ansonsten brachten wir zwei Nationalspieler hervor, worauf wir natürlich sehr stolz sind. Im Liga-Bereich holten wir in der Regionalliga Nordost und auch in der zweiten Bundesliga Titel. In der ersten Bundesliga, in der Saison 2014/15, wurden wir Vize-Meister.

Frage: Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Rugby-Sportes für Athleten mit Handicaps in Deutschland in den letzten Jahren, speziell im Nordosten? Gibt es regen Zuspruch bei den jungen Sportinteressierten?

Daniel Lemke: Leider geht die Entwicklung eher „rückwärts“. Es fehlt Nachwuchs (Davon ist aber nicht nur Rugby betroffen!), viele Spieler haben sich beruflich weiter entwickelt und gründeten eine Familie und da liegen für diese die Prioritäten natürlich anders. Leistungssport steht nicht mehr „ganz oben“. Es wird ohne Druck gespielt und will letztendlich Spaß haben. Aus diesem Grund agieren in der ersten Bundesliga auch viele Spieler aus anderen Vereinen, Hamburg oder Hannover, bei denen ebenfalls keine eigene leistungsorientierte Mannschaft zustande kommt. Daher wird perspektivisch der Fokus auf der Regionalliga liegen und natürlich auf gute Leistungen bei Turnieren.

Frage: Was sind die Ziele der Greifswalder Rollmöpse für 2016?

Daniel Lemke: Wenn es klappt, doch noch einmal nach dem deutschen Meister-Titel in der ersten Bundesliga greifen und die Regionalliga mit Spaß bzw. Erfahrung gewinnen. …Und natürlich ein paar weitere Spieler für die „Rollmöpse“ zu begeistern.

Vielen Dank und weiterhin maximale sportliche Erfolge!

Die Athleten mit Handicap gehören wahrlich in den Fokus des sportiven Interesses, zumal es wirkliche, echte Vorbilder sind, die inspirieren, bewegen und berühren…

Handicap?! Von wegen…

Marko Michels

 


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