Themen gesetzt – Lösung vergessen…
Zwischen Frauen, Flüchtlingen und politisch Korrekten
Es ist schon erstaunlich, wie in diesem Land, in dieser Stadt Prioritäten gesetzt werden. Lässt man die letzten Wochen Revue passieren, so ist es schon erstaunlich, wie Themen politisch und medial „heftig“ diskutiert, einige davon extrem hoch gejazzt werden, um nach maximal vier Wochen wieder fast völlig „zu verschwinden“.
Themen gesetzt und nicht gelöst?!
„Gerichtsstrukturreform“, „Ukraine-Konflikt“, „Islamischer Staat“, „Flüchtlingsproblematik“, „57 – Kriege und Konflikte global“, Kita-Streik, Piloten-Streik, Bahn-Streik, „Mindestlohn – Sinn und Sinnlosigkeit“, „geschönte Statistiken“, „Ehrenamtsstiftung M-V“, „Stoppt die Buslinie 7“, „Schwerin als Weltkulturerbe-Stadt“, „organisierter Frohsinn a la Hanse Sail, Schwedenfest oder Altstadtfest“, „Kulturförderung in M-V“, „vermeintlicher Fachkräftemangel“, „Förderung des Spitzensportes“, „Interkulturelle Wochen“, „neues Prostituiertengesetz“, „Postengeschacher in den Verwaltungen“, „Doppelhaushalt“, „MV auf der Expo“ – ein paar Schlagzeilen der letzten Wochen.
Die meisten genannten Probleme wurden nicht gelöst, nur deren Symptome „gelindert“. Ein echter Wille zu deren Lösung ist auch nicht erkennbar, dazu spielen ganz einfach zu viele Einzelinteressen eine Rolle. Politik dient nicht zur Gestaltung, sondern vor allem zur Verwaltung.
Schüren von Vorurteilen
Schon Albert Einstein meinte: „Welch triste Epoche, in der es leichter ist, ein Atom zu zertrümmern, als ein Vorurteil!“.
Es werden Menschen gegeneinander ausgespielt, Zwietracht wird subtil gesät, Vorurteile geschürt und befördert. Natürlich auf ganz verdeckte Weise… Rechte gegen Linke, Frauen gegen Männer, politisch korrekte Frauen gegen Prostituierte, Menschen ohne Handicaps gegen Menschen mit Handicaps, NS-Opfer gegen Stasi-Opfer, alle politisch Korrekten gegen die Restbestände der AfD, Nichtflüchtige gegen Flüchtlinge…
Für und gegen Flüchtlinge?!
Diese „Gegen“ werden aber offiziell in ein „Für“ umgedeutet. Wer nicht uneingeschränkt für die Aufnahme ALLER Flüchtlinge ist, ganz gleich was der Grund für deren Flucht ist, muß sich plötzlich den Vorwurf gefallen lassen, bereits in der Nähe von NPD, AfD oder von irgendwelchen „Provinzdeppen“ zu sein…
Argumentiert der ansonsten demokratisch Gesinnte, dass er sehr wohl für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen, insbesondere der verfolgten Christen durch den IS sei, aber nicht für die Aufnahme von Migranten aus Staaten, in denen es keine politische Verfolgung gibt, wird er dennoch als „Rechter“, als „Unbelehrbarer“ tituliert. Da spielt es dann keine Rolle, dass der Gemeinte in der Vergangenheit sogar ein soziales Jahr im „nichtdeutschen Sprachraum“ absolvierte und auch sonst Engagement zeigte.
Die Ankunft der Flüchtlinge wird in Verkennung deren Schicksale in ein „Willkommenshappening“ an Bahnhöfen verklärt, dabei brauchen die wirklichen Bürgerkriegsflüchtlinge keine temporäre Begrüßungsshow, sondern nachhaltige Unterstützung. Man darf gespannt sein, wie es um die „Willkommenskultur“ in Deutschland sechs Monate später, zum Beispiel im März 2016, bestellt sein wird, wenn der „Reiz des Neuen“ nachließ… In Deutschland wird ja seit 10 Jahren mittlerweile alles als „Event“ zelebriert, um dann schnell wieder „in der Schublade zu landen“.
NS-Opfer gegen DDR-Opfer?!
Ähnlich verhält es sich mit der Behandlung von politisch Verfolgten in der ehemaligen DDR. Deren Widerstand gegen das Block-Regime aus SED, Ost-CDU, LDPD, NDPD, Bauernpartei und Stasi wird noch immer als „Widerstand zweiter Klasse“ angesehen. Gerade von den politischen Linken hierzulande. Auch 25 Jahre nach der deutschen Einheit. Ja, wer gegen die Nazis stand, das ist Heldentum, aber gegen die Stalinisten… Na ja… So oder so ungefähr ist immer noch die Auffassung der politischen Aktivisten, die sich selbst gern als „links“ betrachten.
Hatte die CDU ein Problem mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, so hat die SPD heute ein Problem mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Da sind dann führende Landespolitiker schnell bei der Sache und stellen die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ für die DDR in Abrede. Zudem will es sich dort ja niemand mit dem künftigen Koalitionspartner auf Bundesebene, den Linken, verderben.
Frauen an die Macht
Eine sinnfreie Diskussion wurde auch um die „Frauenquote“ geführt. So sollen die Aufsichtsräte großer Unternehmen einen Frauen-Anteil von mindestens 30 Prozent aufweisen. Zurzeit beträgt der Frauen-Anteil in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft rund 22 Prozent, in den Aufsichtsräten der DAX-notierten Unternehmen gar nur bei 21 Prozent.
Woher also die Frauen nehmen, die gar nicht in derlei Positionen wollen, wie auch viele Männer übrigens nicht?
Inzwischen werden Frauen sogar bevorzugt, wenn es um die Besetzung von Verwaltungspositionen der mittleren Unternehmens- und Verwaltungsebene geht. Ob diese Maßnahmen allerdings dazu führen werden, dass mehr Frauen tatsächlich in Führungspostionen rücken werden, darf bezweifelt werden.
Dagegen werden anderen Themen plötzlich vernachlässigt, „aus den Schlagzeilen genommen“ und relativiert.
Menschen mit Handicaps am Rande?!
Was ist eigentlich mit den Menschen mit Handicaps in diesem Land?! Von den 143000 deutschen Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern beschäftigen 37000 Firmen überhaupt keine Menschen mit Handicaps. Dabei leben in Deutschland mehr als 10 Millionen Menschen mit Handicaps, darunter mehr als 3 Millionen im erwerbsfähigen Alter. Und viele wurden nicht mit Handicaps geboren, sondern diese sind Folgen chronischer Erkrankungen, von Unfällen oder sogar von medizinischen Fehlbehandlungen.
Die Politik versuchte zwar mittels Gesetzen und Appellen, die Situation von Menschen mit Handicaps hierzulande zu verbessern, es blieb aber vieles „Stückwerk“, der Erfolg blieb überschaubar.
Wie also weiter?!
Seit 2014 ist Verena Bentele die neue Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Zunächst: Eine grossartige Sportlerin mit Handicap, die in ihrer aktiven sportlichen Laufbahn Willensstärke, Kampfgeist, Leistungsbereitschaft, Engagement und viel Fleiss offenbarte, wurde sowie wird zu Recht und verdient geehrt. Ihre Berufung als Behindertenbeauftragte hätte in der Tat „frischen Wind“, neue Perspektiven und neue Wege für diese Funktion, dieses Amt bedeuten können. Und es wäre unfair zu sagen, dass Verena Bentele sich in den Debatten zur Benachteiligung von Menschen mit Handicaps nicht deutlich geäußert und Initiativen ergriffen hätte.
Verena Bentele weiss aus ihren Erfahrungen, als sie noch nicht sechzehnfache paralympische Medaillengewinnerin war – dabei übrigens 12 x Paralympics-Gold zwischen 1998 und 2010 im Skilanglauf sowie Biathlon gewann – wie Menschen mit Handicaps in Deutschland nicht wegen der vermeintlichen Handicaps „behindert“ werden, sondern durch Menschen ohne vermeintliche Handicaps erst „Behinderungen“ erfahren müssen.
Allein diese Bezeichnung „Behindertenbeauftragte“ war und ist ohnehin defensiv gewählt. Warum nicht, auch wenn etwas länger, „Beauftragte für Menschen mit Handicaps“. Allein das Wort „Behinderungen“ suggeriert etwas Negatives, Sperriges und Nachteiliges.
Zu viel Vorschußlorbeeren für die Bundesregierung
Bei der Ernennung von Verena Bentele vor mehr als anderthalb Jahren lehnte sich Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, in der Tat weit vor – nämlich, dass sich durch die Berufung von Verena Bentele die Merkel-Gabriel-Seehofer-Regierung eine „Goldmedaille“ verdient habe. – Diese Personalie ein Signal sei, dass die Bundesregierung der Behindertenpolitik einen hohen Stellenwert einräume. Und: Die Berufung von Verena Bentele sei ferner ein gewichtiger Gedanke zur Inklusion, also der Gleichstellung behinderter und nichtbehinderter Menschen…
Mal abgesehen davon, dass in den letzten 25 Jahren zumeist nur verbal und formal etwas für die Belange „behinderter“ Menschen seitens der diversen Bundesregierungen „getan“ wurde, sich mitunter nur etwas unter erheblichem Druck der Betroffenen bewegte und letztendlich die Realitäten andere, eher bittere, für die Menschen mit Handicaps waren, ist es schon ein „starkes Stück“ wie hier von politischer Seite versucht wird und wurde, eine erfolgreiche und charakterstarke Sportlerin für eigennützige politische Ziele von CDU, SPD und CSU zu instrumentalisieren und zu vereinnahmen.
Positive Entwicklung für Sportler mit Handicaps
Schön, dass die politische Administration in Deutschland den Hochleistungssport für Menschen mit Handicaps fördert, in Kooperation mit Sponsoren. Da ist in den letzten 15 Jahren in der Tat eine positive Entwicklung zu verzeichnen. Aber so selbstlos und gönnerhaft sind unsere Sportpolitiker und Sponsoren jedoch nicht: Jede Medaille bei EM, WM sowie Olympischen und Paralympischen Spielen „glänzt“ nun einmal und unsere Damen und Herren Politiker sind Narzissten und Marketingstrategen genug, um selbst vom Glanz fremder Medaillen etwas erheischen zu wollen. Es wird sich daher mit den Leistungen Anderer geschmückt – nach der Devise: „Seht her, ohne `unsere` Förderung wäre das nicht möglich gewesen!“
Was für eine Scharade! Nicht die Politik und Sponsoren sind die Förderer unter anderem auch des Hochleistungssportes für Menschen mit Handicaps, sondern die ehrlichen, fleissigen und leistungsbereiten Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, ob mit oder ohne Handicaps.
Der NPC-Präsident hebt die angebliche „Tatkraft“ einer Bundesregierung heraus, die diese nicht zeigt – gerade Menschen mit Handicaps gegenüber.
Auch Nicht-Paralympioniken mit klasse Leistungen
Weiss der NPC-Präsident wirklich wovon er spricht? Denkt er allen Ernstes, dass nur Hochleistungssport treibende Menschen mit Handicaps Vorbilder für Andere sein können, die von Geburt an oder durch ärztliche Fehlbehandlungen bzw. durch Folgen politischer Haftstrafen „Handicaps“ aufweisen… Es gibt viele Frauen und Männer mit Handicaps in der deutschen Gesellschaft, die sich bestens qualifizierten, talentiert in künstlerischen, wissenschaftlichen, ökonomischen, politischen oder sozialen Bereichen sind, aber „irgendwann“ in ihrem Leben – Â der eine früher, der andere später – „unsichtbaren Mauern“ begegnen, die trotz grösster Anstrengungen nicht zu überwinden sind.
Sport, der Hochleistungssport speziell, findet hingegen in einzelnen Sportarten fast immer Förderer ohne Handicaps, die Paralympionikinnen und Paralympioniken über diese „Mauern“ helfen. Allein ginge das auch für den willensstärksten Paralympioniken nicht!
Was ist aber mit denjenigen mit Handicaps, die nun nicht paralympische Ambitionen haben. Die sind natürlich nicht vordergründig auf dem Radar der Bundesregierung, diese hat aber nicht nur eine frisierte Kanzlerin und einen frisierten Vize-Kanzler, sondern auch frisierte Statistiken parat, die über die „gute Integration“ von Menschen mit Handicaps in Deutschland (des-)informieren.
Kein Gold verdient
Hat die schwarz-rote Bundesregierung wirklich Gold verdient? Nein, natürlich nicht. „Blech“ würde besser passen – und es ist nicht einmal ein Platz unter den „Top Ten“.
Um es klar zu sagen, unsere Paralympionikinnen und Paralympioniken verdienen jede Förderung, inspirieren mit ihrer Willensstärke und ihrem Auftreten und können auch Vorbilder sein. Gerade aus Mecklenburg-Vorpommern kommen großartige Sportlerinnen und Sportler mit Handicaps, wie die Judo-Zwillingsschwestern Carmen bzw. Ramona Brussig, wie die Leichtathletinnen Jana Schmidt oder Vanessa Low, die Schwimmerin Denise Grahl, der Schwimmer Torben Schmidtke, der Ruderer Marcus Klemp und viele andere mehr…
Themen nicht einseitig setzen…
Verena Bentele ist ohnehin eine fantastische Sportlerinnen-Persönlichkeit, die engagiert versucht, die Belange von Menschen mit Handicap zu vertreten. Sie hat es aber nicht verdient, vor den „politischen Karren“ von CDU, SPD und CSU gespannt zu werden, die sich inzwischen – wie erwähnt – anderen Themen zuwenden „Frauen-Förderung“, „Kita-Förderung“ oder Hilfe für Flüchtlinge. Durchaus zu Recht. Aber es kann und darf nicht sein, dass die Probleme des einen gegen die Probleme des anderen ausgespielt werden. Selbstverständlich müssen alle Probleme gleichzeitig angegangen werden. Wozu gibt es ansonsten die Fachministerien mit den großen personellen Apparaten in den Ländern und im Bund?!
Denn es ist grotesk, dass plötzlich die Themen „Frauen-Förderung“/“Kita-Förderung“ – zumal die Form, in der es jetzt betrieben wird, mehr als umstritten ist – die Lösung anderer Probleme – und dazu gehört die Tatsache, dass Menschen mit Handicaps vielfach schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, als andere – verdrängen oder diese relativieren bzw. marginalisieren.
Kürzlich sorgte das Schicksal der anmutigen und erfolgreichen österreichischen Stabhochspringerin Kira Grünberg für große Schlagzeilen. Bei einem schweren Trainingsunfall im Juli brach sich Kira den fünften Halswirbel, ist seitdem vom Hals abwärts gelähmt. Es sind traurige Fälle wie dieser, die ins Herz stechen, die zeigen, wie zerbrechlich das menschliche Leben ist. Hoffentlich erhält Kira jegliche Unterstützung und Hilfe, die sie benötigt und verdient hat und muß nicht noch zusätzlich bürokratische und finanzielle Hindernisse bewältigen, was oft Folge von bleibenden „Handicaps“ nach Unfällen ist… Aber Kira ist sicher eine große Kämpferin.
Der Kampf und der Einsatz für Menschen mit Handicaps muß ohnehin weiter gehen. Auch in Deutschland, in M-V und in Schwerin.
Marko Michels